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Starkes Auge, starkes Kind

Wenn Kinder schlecht sehen, kann eine Okklusionstherapie helfen. Warum früh gehandelt werden muss und wie Familien diese Herausforderung gut meistern können.

„Ich dachte, sie sei einfach tollpatschig“, erinnert sich Amira Stütz, Mutter der fünfjährigen Elin. Ständig lief ihre Tochter gegen Türrahmen, hielt Bilderbücher zu nah ans Gesicht, schielte manchmal leicht. Erst bei der regelmäßigen U-Untersuchung bei der Kinderärztin kam der Verdacht auf: Das alles könnte mit einer sogenannten „Amblyopie“ – einer Sehschwäche auf einem Auge – zu tun haben. Und tatsächlich ergaben die Untersuchungen: Elin leidet an Amblyopie.

Amblyopie ist die häufigste Sehstörung im Kindesalter, etwa drei bis fünf Prozent aller Kinder sind betroffen. Wenn ein Auge deutlich schlechter sieht als das andere – durch Schielen oder Fehlsichtigkeit – kann sich das Gehirn mit dem dominanten Auge begnügen und das schwächere Auge unterentwickeln. „Je früher man das erkennt, desto besser“, sagt Dr. Peter Heinz, Augenarzt in Schlüsselfeld, der „Ärztezeitung“. Denn mit dem Schulalter schließt sich das Zeitfenster für eine erfolgreiche Behandlung langsam. Es heißt also: Früh gegensteuern!

DAS STARKE AUGE WIRD ABGEKLEBT

Der wichtigste therapeutische Ansatz ist die Okklusionsthe- rapie. Sie kommt ganz ohne Medikamente oder schmerzhafte Behandlungen aus. Bei der Okklusionstherapie wird das starke Auge mit einem Pflaster abgedeckt – das schwache wird so gezwungen zu „trainieren“. Das tut man, „um das schielende Auge ein bisschen mehr zu fordern und das Gehirn dazu zu ‚zwingen‘, die Vernetzung wieder zu optimieren“, sagt Dr. Peter Heinz in der „Ärztezeitung“. Anfangs nur wenige Stunden, später – je nach Alter und Stärke der Amblyopie – oft über mehrere Wochen oder Monate hinweg. Die Aussicht auf Heilung ist gut, wenn die Therapie durchgezogen wird. „Durch dieses Tal der Tränen muss man aber durch“, so Augenarzt Dr. Heinz.

Doch das ist leichter gesagt als getan. „Elin hat das Pflaster gehasst“, erzählt Amira Stütz. „Sie hat geweint, es abgerissen, sich versteckt.“ Kein Wunder: Mit nur einem, zudem nicht so gut funktionierenden Auge, zu spielen oder zu malen, ist mühsam – und Kinder erleben sich oft plötzlich als „anders“. Was hilft? Geduld – und kreative Unterstützung. Es gibt Pflaster mit lustigen Motiven, Sticker zum Sammeln, Geschichten über kleine Helden mit Augenpflaster. Einige Eltern „verkleben“ gemeinsam mit dem Kind Stofftiere oder lassen das Geschwister- kind mitmachen. „Wir haben ein Belohnungssystem eingeführt: jedes Pflaster ein Sternchen – zehn Sternchen ein Eis“, lacht Mama Amira Stütz. Der Aufwand lohnt sich. „Heute sieht Elin fast normal mit beiden Augen“, sagt ihre Mutter. „Und sie findet das Pflaster jetzt sogar cool – zumindest manchmal.“

Dr. Julia Egleder

 

SO KÖNNEN SIE IHR KIND UNTERSTÜTZEN

  • Kind und Bezugspersonen mit in die Motivation zur Okklusionstherapie einbeziehen.

  • Dem Kind Verantwortung übertragen, zum Beispiel bei der Auswahl der Pflaster, das steigert das Selbstwertgefühl des Kindes.

  • Notwendigkeit der Okklusionstherapie erklären.

  • Ablenken, wenn sich das Kind sehr stark auf die Einschränkung durch das Pflaster konzentriert.

  • Tragen des Augenpflasters so interessant wie möglich gestalten, durch: Motive abwechseln und Lieblingsmuster bestimmen.